Handelsblatt
Wirtschaft fordert Klarheit bei Heizungsgesetz
Von Silke Kersting und Klaus Stratmann, Montag, 12. Juni 2023, Nr. 110
In der Wirtschaft wächst angesichts des anhaltenden Gezerres der Ampelkoalition um das Gebäudeenergiegeetz (GEG) der Unmut. „Die Politik steht vor schweren Entscheidungen, aber diese müssen jetzt getroffen werden“, sagte Sabine Nallinger, Vorständin der Stiftung Klimawirtschaft, dem Handelsblatt. In der Stiftung haben sich Unternehmen aus vielen Branchen der deutschen Wirtschaft zusammengeschlossen, die beim Klimaschutz vorangehen wollen.
Die Ampelkoalition ringt seit Wochen um ihren Kurs in Sachen GEG. Noch ist unklar, ob der Bundestag bis zum Sommer die Pläne zur Wärmewende beschließen kann. Das ist längst nicht mehr nur für die unmittelbar betroffenen Branchen, wie die Hersteller von Heizsystemen, ein Ärgernis, sondern beispielsweise auch für Baufinanzierer. Reinhard Klein, Vorstandsvorsitzender der Bausparkasse Schwäbisch Hall, sagte, sein Unternehmen benötige Klarheit und verlässliche politische Regelungen, vor deren Hintergrund „wir unsere Kunden seriös beraten“ können.
Die widersprüchlichen Signale aus Berlin führten dagegen bei den Kunden zu einer abwartenden Haltung, sagte Klein. Die Umstellung auf eine dekarbonisierte Wärmeversorgung sei für die CO2-Neutralität im Gebäudesektor „letztlich alternativlos“. Mittlerweile wird die Zeit knapp. Das Bundeskabinett hat den GEG-Entwurf zwar im April verabschiedet. Der Gesetzentwurf ist aber bislang nicht in den Bundestag eingebracht worden. Das müsste diese Woche geschehen, wenn eine Sondersitzung des Parlaments vor der Sommerpause vermieden werden soll. Der GEG-Entwurf sieht vor, dass neue Heizungen ab 2024 mit mindestens 65 Prozent erneuerbarer Energie betrieben werden müssen. De facto geht das mit einem Verbot neuer Öl- und Gasheizungen einher.
Insbesondere die Liberalen halten den Gesetzentwurf für zu rigide. Sie wünschen sich größere Technologieoffenheit. Auch um Übergangsfristen, Ausnahmeregelungen und die Höhe der Förderung wird gerungen. Aus Sicht der betroffenen Branchen ist das Hin und Her nicht länger tragbar. „Wir brauchen die GEG-Novelle vor der Sommerpause, um Planungs- und Investitionssicherheit zu haben“, sagte Filip de Graeve, Deutschlandchef von Daikin. Das Unternehmen ist ein weltweit führender Hersteller von Klimaanlagen und Wärmepumpen. „Die Industrie steht bereit für die Gesetzesnovelle des GEG. Die Industrie ist nicht überfordert, sondern in der Lage, die benötigten Anlagenkapazitäten bereitzustellen“, sagte de Graeve.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte die Wärmepumpenhersteller schon lange vor Beginn der Debatte über das GEG ermuntert, die Produktionskapazitäten massiv auszuweiten. Ab 2024 sollten jährlich mindestens 500.000 neue Wärmepumpen zum Heizen von Häusern installiert werden. Auch die Baubranche fordert klare Verhältnisse. „Die Ampel darf nicht das Tempo aus der Wärmewende nehmen. Wir müssen jetzt auf alle verfügbaren Technologien setzen, um die Wärmeversorgung zu dekarbonisieren“, sagte Jan-Hendrik Goldbeck, geschäftsführender Gesellschafter des Gewerbebauexperten Goldbeck. „Hierfür brauchen wir standardisierte und typisierte Vorgehensweisen.“
In der Bevölkerung sorgt die lange Debatte der Ampelkoalition für Verunsicherung. Das legt eine noch unveröffentlichte Insa-Umfrage nahe, die das Forum für Klima, Energie, Mobilität und Bauen (KEMB) in Auftrag gegeben hat. Demnach bewerteten die Bürgerinnen und Bürger die klimapolitische Debatte im Mai schlechter als im Vormonat. Die Umfrage belegt auch, dass die Akzeptanz für das politisch seit Langem festgeschriebene Ziel, spätestens 2045 keine Heizungen mehr mit Erdgas, Erdöl oder Kohle zu betreiben, gering ist. Die größte Gruppe der Befragten, nämlich 44 Prozent, sagte, sie fänden das Ziel „schlecht“ oder „eher schlecht“. Besonders ausgeprägt ist die ablehnende Haltung mit 72 Prozent unter den AfD-Wählern. Nur 33 Prozent aller Befragten finden das Ziel „gut“ oder „eher gut“. KEMB ist eine noch junge Plattform, die sich in der energie- und klimapolitischen Debatte als Impulsgeber und Denkfabrik etablieren will.
Am Samstag demonstrierten rund 13.000 Menschen in Erding bei München gegen das geplante Heizungsgesetz. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Vize, Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern, nutzen ihre Reden für Angriffe gegen die Regierung in Berlin. Söder attackierte vor allem die Grünen. Er sagte, Klimaschutz sei wichtig, aber man müsse ihn gemeinsam mit den Bürgern vorantreiben. Aiwanger sagte, jetzt sei der Punkt erreicht, an dem sich die schweigende große Mehrheit dieses Landes die Demokratie zurückholen müsse. Er forderte den Rücktritt der „Berliner Chaoten“.