Presseberichte

Frankfurter Rundschau

Wunsch nach mehr Klimaschutz

Die Mehrheit stimmt der Energie- und Verkehrswende zu, beklagt aber finanzielle Belastung

Von JOACHIM WILLE, Montag 10. Juli 2023, Nr. 157

Das Jahr 2019 schien den großen Umschwung für eine aktive Klimapolitik zu bringen. Die „Fridays for Future“-Bewegung brachte Millionen Menschen auf die Straße. Im Jahr 2021 folgte ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts, und die damalige Bundesregierung von Union und SPD verschärfte den CO2-Einsparkurs mit dem Ziel Klimaneutralität 2045. Doch durch die Coronapandemie und den Ukraine-Krieg rutschte die Klimakrise in der Priorität ab. Aber trotz dieser Umwälzungen: Der Wunsch nach einer ambitionierten Klimapolitik ist unter den Bürgerinnen und Bürgern weiterhin stark, wie Umfragen zeigen. Sie zweifeln allerdings zunehmend am politischen Willen, dies auch umzusetzen, und ebenso daran, dass die nötige Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft sozial gerecht gestaltet wird.

Die Deutschen stimmen laut einer aktuellen Befragung trotz vieler Unsicherheiten der Energie- und Verkehrswende mehrheitlich weiterhin zu. Für 41 Prozent der Befragten hat das Thema Klimaschutz sogar an Bedeutung gewonnen, für elf Prozent ist es durch die Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs unwichtiger geworden. Ein großer Anteil der Bürger:innen (48 Prozent) favorisiert dabei allerdings Lösungen, die sowohl zum Klimaschutz beitragen als auch die finanziellen Auswirkungen der gestiegenen Energiepreise abmildern. Das zeigt das aktuelle „Soziale Nachhaltigkeitsbarometer“, das Forsa im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekts Ariadne erarbeitet hat.

Dabei handelt es sich um eine jährliche repräsentative Befragung von deutschlandweit über 6500 Personen zu Themen der Energie- und Verkehrswende. Ein Großteil der Bürger:innen und Bürger hat laut der Befragung sein Verhalten geändert, um Energie zu sparen und den Klimaschutz zu unterstützen. Entsprechend wachsen auch die privaten Investitionen in klimafreundliche Technologien. So ist der Anteil der Auto-Käufer:innen, die sich für E-Autos entschieden, deutlich angestiegen, ebenso der Anteil der Personen, die angeben, privat Solaranlagen installiert zu haben. Allerdings: Für eine deutliche Mehrheit ist das CO2-Einsparpotenzial im eigenen Haushalt ausgeschöpft, und für knapp die Hälfte sind Investitionen zum Beispiel in E-Mobilität aktuell nicht machbar. Das korrespondiert damit, dass die Bürger:innen mehr Handlungsverantwortung bei der Politik und der Industrie sehen. Die Befragten kritisieren mehrheitlich, die Kosten für grüne Energie seien zu hoch. Die Protestaktionen von verschiedenen Klimaaktivist:innen werden übrigens eher kritisch bewertet. Mehr als die Hälfte (59 Prozent) hat für die Aktionen (eher) kein Verständnis. Zudem befürchten rund zwei Drittel der Befragten (64 Prozent), dass die Proteste die gesellschaftliche Unterstützung für mehr Klimaschutz gefährden. Die Co-Autorin des Barometers, Benita Ebersbach vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS), sagte: „Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich eine gerechte Verteilung der Lasten, die durch die Energie- und Verkehrswende entstehen.“ Dabei gehe es ihnen nicht nur generell um einen finanziellen Ausgleich von Kosten, sondern auch darum, bei der Verkehrswende nicht abgehängt zu werden. Dass der monatelange heftige Streit über das Gebäudeenergiegesetz hier ziemlich kontraproduktiv war, liegt auf der Hand. Eine weiter aktuelle Umfrage, in Auftrag gegeben vom Forum für Klima, Energie, Mobilität und Bauen (Kemb-Forum, Sitz Berlin), belegt das. Die Klimapolitik der Bundesregierung wird von einer Mehrheit negativ beurteilt, obwohl der größte Teil persönlich bereit ist, sich im Kampf gegen die Erderwärmung – mit Ausnahme beim Fleischkonsum – einzuschränken. Allerdings wollen etwa 50 Prozent der Befragten nicht mehr Geld für den Klimaschutz ausgeben. „Gerade der Streit um das unausgereifte Heizungsgesetz in den vergangenen Monaten hat der Bereitschaft für Klimaschutz in der Bevölkerung geschadet“, sagt Kemb-Vorstandsvorsitzender Martin Neumann dazu in einem Interview. Das Forum ist eine Denkfabrik, die unter anderem die Akzeptanz der Energiewende untersuchen lässt. Für die Umfrage hat das Insa-Institut Ende Juni 2004 Personen befragt. Der Thinktank wird unter anderem von den Leipziger Stadtwerken und dem Biosprit Hersteller Verbio unterstützt. Klar wurde in der Umfrage auch: Bei ihren Sommerurlaubsplänen achten nur wenige Deutsche auf den Klimaschutz. Nur für eine Minderheit von 16 Prozent spielen Klimaschutzaspekte eine größere Rolle, 41 Prozent sagten Nein dazu. Immerhin ist eine Mehrheit laut der Umfrage aber grundsätzlich bereit, Flugreisen aus Klimaschutzgründen einzuschränken. Eine verminderte Nutzung des Autos wird dagegen überwiegend abgelehnt. 38 Prozent fahren übrigens nicht in den Sommerurlaub, fünf Prozent machten keine Angabe.