Erdgas für Deutschland – Gerettet oder Ruhe vor dem Sturm?
Von Dr. Horst Tore Land
Es ist kaum zu glauben – nach elf Monaten Krieg in der Ukraine, der Zerstörung der Nord Stream Pipelines und endlosen Krisensitzungen in Politik und Wirtschaft kann man im Januar 2023 Erdgas für Anlieferung im Februar 2023 etwa zu demselben Preis einkaufen wie vor einem Jahr.
Damit hätte vor wenigen Wochen noch niemand gerechnet. Aber ist nun die Welt wieder in Ordnung? Eine vertiefte Analyse legt leider strukturelle Probleme offen, die Deutschland und Europa noch lange beschäftigen werden. Hier eine kurze Übersicht dieser Herausforderungen:
- Der aktuell für Erdgaslieferungen in Februar 2023 zu zahlende Preis ist immer noch um den Faktor vier bis sechs teurer als die historischen Durchschnittspreise zu denen Erdgas vor 2021 eingekauft werden konnte. Dies ist relevant, weil viele Unternehmen ihre Energielieferungen häufig ein bis drei Jahre im Voraus einkaufen. Das heißt: diese Unternehmen und Energieversorger haben das in 2022 bezogene Erdgas zwischen den Jahren 2019 oder 2020 zu deutlich niedrigeren Preisen eingekauft. Die Realität schlägt erst beim Abschluss neuer Lieferverträge durch und wird unweigerlich Liquidität und Kostenstrukturen der Unternehmen unter Druck setzen.
- Europa hat in 2022 den Bezug von russischem Flüssiggas (LNG) deutlich gesteigert, bis Oktober 2022 wurden ca. 18 Milliarden Kubikmeter bezogen, für das Gesamtjahr 2022 liegt das Importvolumen vermutlich bei 25 Milliarden Kubikmetern. Die in Europa und Deutschland aktuell gut gefüllten Speicher wären ohne diese LNG- Importe nicht möglich gewesen. Wie stark diese Abhängigkeit ist, zeigt ein kurzer Blick auf die Zahlen – die aus Russland bezogenen LNG-Lieferungen entsprechen in etwa den gesamten in allen deutschen Speichern eingelagerten Erdgasvorräten.
- Europa konnte die deutliche Steigerung der LNG-Importe im Jahr 2022 zudem nur erreichen, weil China im Gegenzug seine LNG-Importe deutlich zurückgefahren hat. Das ist ein Sondereffekt den man in der Zukunft nicht wiederholen kann, da sich die wirtschaftliche Aktivität in China nach Aufhebung der strikten Corona Maßnahmen wieder erholen wird. Europa und damit natürlich auch Deutschland wird sich daher auf einen wesentlichen stärkeren Wettbewerb mit China, Korea und Japan um die weltweit verfügbaren LNG Mengen einstellen müssen.
- Der bemerkenswerte Rückgang des Erdgasverbrauches in der Industrie ist im Wesentlichen auf Produktionsrückgänge zurückzuführen. Hiervor ist besonders die Chemieindustrie betroffen, aber auch andere energieintensive Branchen. Es ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um langfristige strukturelle Anpassungen handelt, die zu einer dauerhaften Neuordnung von Wertschöpfungsketten und Industriestrukturen führen werden.
Deutschland mit seiner angespannten Versorgungslage Anfang des Jahres 2023 kann sich natürlich darüber freuen, dass es keine Erdgasmangellage gibt und auch wohl zunächst angesichts des immer noch milden Winters nicht geben wird. Dennoch sind wir in einer neuen Welt angekommen in der wir uns auf einen harten Wettbewerb um wichtige Ressourcen wie LNG einstellen müssen und zudem unweigerlich durch schmerzhafte Anpassungsprozesse gehen werden. Die erfolgreiche Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert in Zukunft eine sachliche und transparente Diskussion über strategische Handlungsoptionen und die Fähigkeit diese auch effizient umsetzen zu können. Das KEMB- Forum wird hierzu einen konstruktiven Beitrag leisten.