Diskurse

Die Deutsche Energiepolitik nach dem 24.Februar 2022

Von Prof. Dr. Martin Neumann

Vieles was  vor dem 24. Februar als Maßstab in der deutschen Energiepolitik galt, muss in Anbetracht der aktuellen geopolitischen Lage neu bewertet werden. Die Szenarien des Ausstiegs  aus der Braunkohleverstromung – idealer Weise bis 2030 - und die Abschaltung der letzten noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke – alles Makulatur?
Klar ist - Der Krieg Putins in der Ukraine offenbart, dass  eine Neuausrichtung der Energiepolitik nun zügiger erforderlich ist –  es müssen vor allem viele bisher sicher geglaubte Wege  verlassen werden. Eine stärker werteorientierte Ausrichtung unserer Energiepolitik ist  eine der großen Herausforderungen.

Die Rohstoffe dieser Welt liegen  zum großen Teil nicht unter dem Boden demokratischer Strukturen und  haben sich durch den Krieg gegen die Ukraine nicht verändert.
Hinzukommt, dass Deutschland bisher, aber auch in Zukunft nicht autark sein wird. Deutschland ist  also auch in Zukunft regelmäßig auf rund 70 %  Energieimporte angewiesen.

Durch Putins Krieg gegen die Ukraine hat sich diese Situation nicht verändert. Mindestens genauso wichtig wie die Absicherung unserer Energieversorgung ist die Rückkehr zu einem Dialog auf Augenhöhe.
Die Kooperation mit Russland bzgl. der Energieversorgung war auch für uns sehr vorteilhaft und ist nicht der Grund des aktuellen Konfliktes.

Der Krieg in der Ukraine verändert (fast)  alles und offenbart Fehler und politische Fehleinschätzungen der Vergangenheit bei der Struktur, Gestaltung und Entwicklung der nationalen Energieträgerstruktur.
Die Sanktionen gegen Russland sind zurzeit wahrscheinlich zumindest teilweise wirksam.  Aber zu oft zeigen Sanktionen – wie am Beispiel Nordkorea, Venezuela oder Iran -  sehr häufig, dass diese  nicht zu den erhofften Ergebnissen führen.

Nur als wirtschaftlich starkes Land kann Deutschland in der EU maßgeblich zu Sicherheit und Stabilität in Europa und der Welt beitragen. Voraussetzung für wirtschaftliche Stärke ist eine bezahlbare und sichere Energieversorgung.

Versorgungssicherheit, Verfügbarkeit, bezahlbare  Kosten und Wirtschaftlichkeit sowie die Verminderung der Treibhausgasemissionen, können und müssen durch echte Technologieoffenheit in der Energieversorgung und breite Diversifikation beim
Energieträgerimport erreicht werden. 

Es sind Entscheidungen zu treffen, um die Abhängigkeit von – insbesondere russischen – Energieimporten zu verringern.
Wieviel Energie lässt schon dadurch einsparen, wenn eine Heizungsanlage richtig eingestellt wird. Beim sogenannten hydraulischen Abgleich einer Heizungsanlage kann bis  zu 40 % der Energie eingespart werden, ohne das es zu Komforteinbußen kommt. Und das auch noch für relativ wenig Geld.
Aber auch im Umgang mit Heizungsanlagen fehlt es beim Nutzer oft an einfachen, aber notwendigen Informationen. Wenn ich in Deutschland ein Bügeleisen kaufe, bekomme ich eine umfangreiche Gebrauchsanweisung – warum nicht als Mieter oder Eigentümer eine angemessene Information zum Umgang mit der Heizungsanlage.
Die Palette sinnvoller Maßnahmen lässt sich deutlich verlängern.

Der Primärenergieverbrauch Deutschlands betrug 2021 12.193* Petajoule.

Primärenergieverbrauch nach Energieträgern (* vorläufige Angaben)

AG Energiebilanzen, Auswertungstabelle

Rund 70% des Primärenergiebedarfs muss Deutschland durch Importe decken (Stand 2020).

Primärenergieimport

Wie es weitergeht, wenn Russland tatsächlich die Lieferung einstellt, weil nicht mit Rubel bezahlt wird? Oder einfach andere Dinge passieren, die momentan nicht für möglich gehalten werden?
Der Blick auf konkrete Zahlen zeigt die Zusammenhänge klar und  deutlich.  Die bisherigen Importe aus Russland lagen 2021  für Steinkohle bei  50%, bei Uran nahezu  bei 100%,  bei Mineralöl bei fast  50% und bei Erdgas bei  55%.

Wenn wir jetzt wissen, dass große Mengen von nur einem Lieferanten große Probleme schaffen können,  dann  lohnt sich immer darüber nachzudenken,  Importquoten aus einer Bezugsquelle zu begrenzen.  Ich habe zuletzt Diskussionen erlebt – sind es nun 10 oder 20 – vielleicht sogar 30 Prozent von einem Lieferanten? Wichtig bleibt die Frage, wer liefert und  ist der Lieferant zuverlässig usw.

Erdgas ist der Energieträger,  der für Industrie und Haushalte,  für Prozesswärme aber auch für Gebäudeheizung und vieles andere eine besondere Bedeutung hat.

Sind wir doch alle bisher davon ausgegangen, dass Erdgas als Brücke zur Grundlastfähigkeit alternativer Energien dienen wird. Als Brücke zu modernen Wasserstofftechnologien.
War es Naivität, Fahrlässigkeit oder einfach nur Politikversagen?  Russland hat immer, auch in Zeiten des kalten Krieges, zuverlässig geliefert sagen viele, die die jetzige Situation bis zum 24. Februar nicht für möglich gehalten haben. 

Brauchen wir jetzt  nicht  eine Inventur der real verfügbaren Energieträger auf der einen  Seite und den Energiebedarf von Wirtschaft und Verbrauchern auf der anderen Seiten?
Viel spannender ist deshalb die Frage wo in den Haushalten,  aber auch in der Industrie Erdgas in der Anwendung bei Fernwärme, in der Industrie und im Stromsektor wirtschaftlich sinnvoll reduziert werden kann.
Wie stellt sich nun die aktuelle Situation konkret dar? 

Strommix in Deutschland 2021

Parallel zum Ausbau der Erneuerbaren Energien sollen u.a. alle deutschen Kohlekraftwerke planmäßig bis spätestens 2038 stillgelegt werden. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung ist die Rede von einem – idealerweisen – Ausstieg bereits 2030. Im Moment ist aber kaum etwas ideal.  Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit ist der Ausbau von wetterunabhängigen Gaskraftwerken vorgesehen, die langfristig mit Biogas und/oder Wasserstoff, übergangsweise aber auch mit Erdgas (mit/ohne CCS) betrieben werden sollen.
Sollten Biogas, Wasserstoff und Erdgas oder die erforderlichen Kraftwerkskapazitäten nicht rechtzeitig in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, ist ein vorübergehender Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken einzuleiten. Hierzu ist rechtzeitig und regelmäßig eine Überprüfung zuverlässiger Brennstoffversorgung vorzunehmen.

Gaskraftwerke

Kurz- und mittelfristig sind bisher wegen der relativ geringen CO2-Emissionen Gaskraftwerke als Substitution von Kohle- und Kernkraftwerken vorgesehen. Langfristig mit dem Aufbau einer ausreichenden und zuverlässigen Wasserstoffinfrastruktur sollen Gaskraftwerke komplementär zur volatilen Stromerzeugung durch Photovoltaik- und Windkraftanlagen betrieben werden. Im Ausbauzustand wäre also eine Versorgung mit Wasserstoff oder Biogas sicherzustellen. Kurz- und mittelfristig sollte eine diversifizierte Beschaffung organisiert werden. Aus Kostengründen ist ein Bezug über Pipeline vorteilhaft. Aus Sicht der Versorgungssicherheit sollte der schon diskutierte direkte Zugang zu LNG zügig umgesetzt werden. Der Bau und Betrieb von Schiffsterminals in Deutschland, aber auch der Zugang und die Nutzung von LNG-Terminals im Ausland, eventuell. mit Anbindung per Pipeline stellen eine Alternative dar. Parallel wäre ein Ausbau von Lieferungen aus Norwegen denkbar. Um auch künftig über genügend Planungszeit zu verfügen, wäre der Ausbau der Kapazität der Gasspeicher mit einer Reichweite von z.B. einem Jahr denkbar.

Wärmeversorgung von Haushalten und Industrie

Während eine Umstellung der Stromversorgung ob der ohnehin stattfindenden Energiewende relativ einfach möglich scheint, ist eine Umstellung der sehr kleinteiligen und maßgeschneiderten Wärmeversorgung nur langfristig zu realisieren. Ca. 50% des Wohnungsbestandes wird vor Ort mit Erdgas und etwa  25% mit Heizöl beheizt.
Für eine Umstellung wäre in der Regel ein neuer Kessel oder eine Therme zu installieren. Dieser Prozess betrifft Haus- und Wohnungsbesitzer, die durch geeiggnete Maßnahmen, unterstützt werden sollten, um den Erdgasverbrauch zu reduzieren und die Effizienz insgesamt steigern. Dazu gehört u.a. eine objektbezogene und ganzheitliche Energieberatung. Wesentlich ist, dass in jedem Fall Investitionssicherheit gewährleistet wird.

Beheizungsstruktur des Wohnungsbestandes in Deutschland 2020

Installiert Leistung und Erzeugung 2020

Deutschland braucht mindestens 2700 TWh für die nationale Gesamtenergieversorgung.
Davon sind ca.  20 % Strom – die restlichen 80 %  kommen für Gebäude, Wärme und Kälte, aber auch Verkehr und  Landwirtschaft zur Anwendung. 

Argumentiert wird, dass der Ausbau alternativer Energien schneller erfolgen muss.
Das ist im Ansatz ein richtiger Weg. Aber was wird sich jetzt ändern bzw. was müsste sich ändern und ist es damit  tatsächlich getan?
Das Problem der Dunkelflauten ist damit nicht gelöst. Orientiert man sich an den Berichten der Vergangenheit, dann  sind wir auch schon in den vergangenen Monaten gefährlich nah da vorbeigerutscht, wo das Licht plötzlich ausgehen kann.
Damit das Licht nicht ausgeht ist es verantwortliche Politik,  alle bisherigen Ausstiegsszenarien  zügig und ergebnisoffen unter den Aspekten Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit zu überprüfen und  für einen Weiterbetrieb  abzuwägen.
Wichtig sind dabei nicht nur die über das gesamte Jahr insgesamt gelieferten Energiemengen – die sogenannten bilanziellen Energiemengen – sondern vor allem die zu jeder Zeit lieferbaren Energiemengen aus wetterabhängigen – den sogenannten volatilen – und den konventionellen  Energieanlagen.

Der Wechsel hin zu einem verstärkten Wasserstoffeinsatz braucht grundsätzlich sehr viel Strom – und deshalb die Unterstützung durch Klimaschutzverträge.
Strom muss preiswert sein und deshalb von staatlichen Preisbestandteilen befreit werden.
Es lohnt auch der Blick auf die Gesetze, die im Zuge der Energiewende beschlossen wurden. Was muss aktualisiert, vielfach aber auch novelliert werden?

Manchmal würde es schon reichen, diese Gesetze einfacher und verständlicher zu machen.
Das beginnt schon bei der Eigenstromversorgung vieles für den Nutzer wirtschaftlicher und anwendungsfreundlicher zu machen.
Die in 2022 letzten drei am Netz verbliebenen KKW (KKE Emsland, GKN-2 Neckarwestheim und KKI-2 Isar) haben eine Leistung von zusammen ca. 4,3 GW und können ca. 34 TWh Strom p.a. erzeugen. Die Ende 2021 vom Netz genommenen KKW  (Grohnde, Gundremmingen C, Brokdorf) hatten eine Leistung von zusammen ca. 4,1 GW.
In vielen Diskussion geht es nun um die Frage eines  befristeten  Weiterbetrieb der KKW  über 2022 hinaus. Hierzu müssten aber Genehmigungen verlängert/erneuert, vermutlich auch Personal zumindest teilweise reaktiviert und neu rekrutiert und neue Brennelemente beschafft werden.
Zur politischen Entscheidung für oder gegen einen lückenlosen Weiterbetrieb der KKW  müssen somit eine Reihe von Fragen schnell geklärt werden.
Für einen Weiterbetrieb spricht die schnelle und sichere Verfügbarkeit von weitgehend treibhausgasfreier Erzeugung von  Strom in relevanten Mengen.
Die schwerwiegenden Veränderungen der weltpolitischen Rahmenbedingungen erfordern deshalb schnelle Entscheidungen ohne Denkverbote.
Wesentlich bleibt, dass alle einheimischen Energieträger und Technologien, die klimaneutral sind, wichtig für die Grundlast als Teil der Gesamtlösung und damit für die Versorgungssicherheit bleiben. Das betrifft u.a. Biomasse, Geothermie und Abwärme.

Energieeffizienz spielt in allen Betrachtungen eine entscheidende Rolle.
In einer umfangreichen Studie wurde festgestellt, dass deutschlandweit ca. 80 % der Heizungsanlagen im Bestand,  2 – 3-mal größer in der Leistung  ausgelegt sind, als eigentlich nach der Heizlast notwendig wäre.
Mit Blick auf den resultierenden  Energieumsatz ist es wesentlich, ob die Heizungsanlage auf 10 kW oder eben 20 kW ausgelegt ist. Die Praxis liefert dafür ausreichend Beispiele.

Energie dann zu nutzen, wenn diese gerade ausreichend vorhanden ist, wird auch Flexibilität genannt. Das kann durch Anreizsysteme oder in gekoppelten Systemen funktionieren. Das dafür notwendige komplexe Management funktioniert nicht manuell, sondern muss als Teil eines digital organisierten Systems funktionieren.
Fakt ist, dass sogenannte Cyberangriffe auf Unternehmen häufiger und auch raffinierter werden.

Es gehört zu den Irrungen in der deutscher Energiepolitik sich in bilanziellen Betrachtungen buchstäblich zu sonnen, denn „Überschüsse“ passieren zu Zeiten, wo das Angebot die Nachfrage deutlich übersteigt und mangels Alternativen - Stromexporte notwendig machen.
Klar, warum das so ist.  Wenn Energie über Windräder oder PV – Anlagen in Strom umgewandelt wird und nicht ausreichend Netze oder Speicher vorhanden sind,  passiert so etwas schon mal.

Dies offenbart eine weitere – schon lange bekannte Schwäche deutscher Energiepolitik.
Es fehlt grundsätzlich die systemische Integration oder einfacher gesagt – Strom der produziert wird,  muss direkt über Leitungen zum Verbraucher oder es müssen brauchbare Speicher her.  Und da mangelt es.  Aber nicht nur dort.
Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist auch die nach der  Verantwortlichkeit für die nationale Versorgungssicherheit. Hier braucht es eine klare Struktur und klare Handlungsoptionen für die praktische Umsetzung.
Damit können Verbraucher  sicher mit Energie versorgt werden aber auch bezahlbare Preise durch Marktwirtschaft und Wettbewerb ermöglich werden.
Bleibt die Frage, wer die Kabel in die Erde legt, die vielen PV Anlagen anschließt und in Betrieb nimmt. Fachkräfte fehlen überall – es fehlt aber gerade hier an guten Ideen um verstärkt Fachkräften für die Energiewende zu gewinnen.
Wenn für die Anwendung bzw. Umsetzung wichtiger Gesetze Juristen beteiligt werden müssen und Bauteile  in einem System - die noch einwandfrei und sicher funktionieren  einfach ausgetauscht werden müssen – nur weil es so in der Norm steht, wird klar, wo weitere Probleme liegen. 

Und eines wird jetzt noch deutlicher - der umfangreiche Prozess der Transformation der Energieversorgung braucht eine auskömmliche Finanzierung, braucht aber vor allem Investitionen und Zeit.

Und da alles sehr komplex  ist, sollte der Gesamtprozess  ab sofort von einen Expertengremium zielorientiert begleitet werden.

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